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Finnland 2014
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Ostergeschichte

Die Krux mit den Eltern

Fototour im Garten

Das Telefon klingelt, einmal, zweimal. Kein Wunder, meine Eltern sind 80 jährig und nicht mehr wieselflink am Telefon. Aber ich wundere mich schon, warum ich heute kein E-mail mit der angehängten Einkaufliste bekam. Haben sie es vergessen? Ist das E-mail nicht weg? Es klingelt das dritte Mal, dann das vierte. Normalerweise nimmt jetzt meine Mami das Telefon ab und begrüsst mich direkt, «Hoi Rolf». Aber dieses Mal nicht. Ist etwas passiert? Warum kommt niemand ans Telefon? Vielleicht sind sie bei diesem schönen Wetter im Garten. Klingelton fünf und sechs. Und noch immer nichts. Es stimmt mich nachdenklich. Was ist los? Sieben und acht. Noch immer nimmt niemand ab. Und ausser Haus können sie ja auch nicht sein. Schliesslich haben wir schon dreimal über den Corona-Virus diskutiert. Und nach einem Coronafall in der Bekanntschaft haben sie es dann doch ernst genommen. Sie gehören zur Risikogruppe und blieben zu Hause. Neun und zehn. Normalerweise hänge ich jetzt auf. Aber nicht dieses Mal. Ich bin beunruhigt. Sie werden doch wohl nicht selber die Ostereinkäufe gemacht haben? Meine Eltern sind schliesslich vernünftig. Elf und Zwölf. Immer noch nichts. Was ist los? Dreizehn und vierzehn. «Hallo Rolf» endlich höre ich die erlösende Stimme meiner Mutter. «Sorry, wir sind grad nach Hause gekommen. Wir haben die Ostereinkäufe gemacht.» Hä, habe ich mich nun verhört? Ich schnappe nach Luft und vom Bauch her steigt Wut ganz langsam, oder ziemlich schnell, Richtung Kopf. Ich überlege mir kurz, wie ich es sagen soll.

Es sind meine Eltern, ohne die ich nicht das Licht auf dieser Erde erblickt hätte. Die, die mich mein ganzes Leben unterstützt haben, egal was ich gemacht habe. Ob zu Beginn als Radrennfahrer oder später, als ich das Geschäft eröffnet habe oder gar wo wir unser Wohnmobil gekauft haben. Immer waren sie da, moralisch, mit Zeit oder gar mit Geld. Sie haben mir eine sehr glückliche Kindheit ermöglicht, auch wenn sie meinem kleineren Bruder mehr geholfen haben, statt mir. Und jetzt bin ich wütend, warum hören sie nicht auf mich?

Aber noch bevor ich mein erstes Wort rausbringe, schiessen mir die Worte von Anita durch den Kopf. «bei älteren Menschen ist die Menschenwürde und die Selbstbestimmung das allerwichtigste». Wir haben ganze Abende darüber diskutiert, nachdem ich Anita Prüfungsfragen bei ihrer Weiterbildung abgefragt habe. Es war auch für mich höchst interessant, wie man in einem Pflegeheim immer abwägen muss zwischen dem Besten für die Bewohner und der Selbstbestimmung des einzelnen. Besonders schwierig ist dies bei Demenzerkrankten. Warum mir das gerade jetzt durch den Kopf geht, ist mir schleierhaft, meine Eltern sind noch sehr gut im Kopf. Und Hilfe bräuchten sie eigentlich auch nicht, zudem haben sie fast 30 Jahre Lebenserfahrung mehr wie ich. Das ist eine ganze Menge. Und sie wissen, um was es bei diesem Virus geht.

Und jetzt, was sage ich am Telefon? Meine Eltern sind genug alt, sind intelligent, haben genug Lebenserfahrung und wissen, worum es geht. Sie waren das gesamte Leben verantwortungsbewusst, zogen zwei Kinder gross und jetzt habe ich das Gefühl, ich wüsste besser, was für sie gut ist? Irgendwie habe ich einfach Angst. Angst, sie zu verlieren.

All diese Gedanken gehen mir innerhalb zweier Sekunden am Telefon durch den Kopf. Und dann höre ich mich in ruhiger Stimme sagen «Hallo Mami, ihr wisst doch, dass ich die Einkäufe für euch schon gemacht hätte».

13.4.2020 - wow rolf, das ist ne tolle geschichte .. manchmal ist es doch besser wenn man erst mal gut überlegt und dann antwortet! wie heisst es doch: reden ist silber schweigen ist gold. oder: bitte vor inbetriebnahme des mundwerkes das gehirn einschalten!

- moni & erwin


13.4.2020 - ich bin immer wieder überrascht, warum die nörgler auf den seiten unterwegs sind und sich intensiv mit den texten von privatpersonen akribisch auseinander setzen um dann noch ihre peinlichen kommentare abgeben. wenn mich etwas nicht interessiert, lese ich es nicht. arme kreaturen! allen anderen wünsche ich schöne ostern! wir freuen uns immer auf texte von euch. mal für uns wissenswert und manche halt nicht. aber auch egal welche das sind. liebe anita und lieber rolf, macht weiter so als blogger! lg

trudchen


14.4.2020 - Hoi Rolf - Ein sehr berührender Beitrag. - Von dieser Seite kennen wir dich gar nicht. - Sehr unterhaltsam geschrieben, aber auch mit Tiefe. Wir sind auch im Alter deiner Eltern. - Verdient nach m.M. das Prädikat wertvoll. - Gruss aus Bern, -

- Michael


15.4.2020 - Hallo Rolf, gut geschrieben. Da auch ich zu der sog. Risikogruppe gehöre habe ich die Hilfe der Stadt angenommen. eine junge Studentin macht für mich die Einkäufe, ich habe sie "Corona-Mäuschen" getauft. Das funktioniert super. Ich wünsche allen viel Geduld und hoffe, dass wir bald wieder losfahren können. Das habe ich meinem ungeduldig wartenden Carthago versprochen. Gruss vom Bodensee, Richard

Richard


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