Nichts für Zartbesaitete
Als wir gestern Richtung Le Mans fahren, wissen wir überhaupt nicht, was auf uns zu kommt. Wir haben zwei Ticket für 24 Stunden Lastwagenrennen und ein Ticket für das Zuschauercamping. Auf der Autobahn fahren wir einfach den Wegweisern «Le Mans course» nach und irgendwann kommen dann die farbigen Wegweiser, wo wir gemäss Tickets den gelben nachfahren müssen. Es staut schon auf der Autobahn zurück und wir merken, dass das Ganze wahrscheinlich doch viel grösser ist, wie wir gedacht haben. Überall grosse, hupende Trucks, Leute stehen an den Kreuzungen und winken den Tracks (und uns) zu. Wir fühlen uns wie kleine Stars. Etwas später trennen sich dann aber die roten Wegweiser (Fahrerlager) und die gelben (Zuschauer) und ab da winkt uns niemand mehr zu.
Check-In ist beim Eingang schnell gemacht, wir bekommen eine Anweisung: reinfahren und irgendwo hinstellen, egal wo. Nur Notausgänge müssen frei bleiben. Nichts von Platzeinweiser, nichts von Markierungen, nichts von Notausgängen. Wird doch alles überbewertet. Einfach irgendwo kreuz und quer in die Wiese hineinstellen. Keine Ahnung, wo Durchfahrten sind, wo Zonen zum Parken sind, einfach irgendwo hin. Es stehen Wohnwagen, Wohnmobile, PW’s und Zelte quer durcheinander. Gemäss Webseite darf jeder 35m2 Platz beanspruchen. Kontrolle? Daran halten? Interessiert gerade gar niemanden. Wir richten uns ein, drehen in dem sonnigen Wetter unsere Markise raus und beobachten das Treiben.
Links von uns laufen zwei Generatoren, hinter uns sind 5 Jünglinge mit Bier beschäftigt, schräg hinten raucht ein Grilleur die ganze Region mit Rauch ein, vorne dröhnt normale Musik, schräg vorne Technomusik. Ein buntes emsiges Treiben. Dieses Treiben nimmt mit jeder Stunde zu, die Lautstärke auch, der Platz füllt sich immer mehr. Nachts um halb zwölf wird die Musik noch aufgedreht, um halb zwei beginnen die Jünglinge hinter uns zu singen, um 4 Uhr zu grölen. Ruhe ist erst um 4:30 Uhr, ausser die zwei Generatoren tuckern immer noch vor sich hin. Endlich schlafen wir bis um 8 Uhr, dann beginnt das Treiben von denen, die anscheinend schlafen konnten.
Wir sind nur halb wach und halb im Schlaf, dümpeln bis 11 Uhr vor uns hin, verzichten auf die Training- und Zeitläufe, die Rennen sind erst am Nachmittag. Von der Rennstrecke haben wir noch nichts gesehen…
Etwas später machen wir uns zu Fuss auf zur Rennstrecke. 20 Minuten und schon stehen wir mitten in dieser Weltbekannten Rundstrecke. Dieser Event ist viel grösser, als wir es uns erträumt hatten, Tribünen fast voll, aber auch wir finden für uns einen Platz auf der Ziel- und Startgeraden. So ein Lastwagenrennen dauert 11 Runden, ca. 25 Minuten und es gibt heute drei verschiedene Rennserien à je zwei Läufe. Wir kommen also voll in den Genuss und schon beim ersten Rennen kommen vier LKw’s nicht mehr ganz heil ins Ziel. Zu gross war das Gerangel in den Kurven. Auch die Streckenposten haben viel zu tun: nach jeder Passage müssen wieder Abschrankungspfosten neue montiert werden. Die Posten sprinten jeweils mit einem Ersatzpfosten zur Kurve, stecken den neuen ein, lesen den alten von der Strecke zusammen und sprinten zurück. Jedesmal unter tosendem Applaus des Publikums. Und schon in der nächsten Runde sleidet ein LKW mit der Hinterachse wieder in den Pfosten und macht das nächste Kleinholz.
Die Rennen sind unterhaltsam, es läuft etwas und das, was wir nicht im Blickfeld haben, können wir auf einem grossen Screen verfolgen, inklusive Zeitlupe von Gerangeln, Sleids und Überholmanöver.
Zwischendurch schlendern wir mit Hamburger in der Hand an den toll bemalten LKW’s vorbei, betreten Fanshops und geniessen die laute Rennatsmosphäre, den Dieselgeruch, den Lärm und die Tempis bis 160km/h.
Gegen 18 Uhr treten wir den Heimweg zu unserem Knutschi an, ab 19 Uhr wäre dann die Fahrerparade, um 22 Uhr ein Feuerwerk und danach ein Popkonzert. Und morgen nochmals je zwei Rennläufe.
Bei unserem Womo das gleiche wie gestern Abend: zwei Generatoren laufen, die Gruppe hinter uns singt schon wieder Lieder und von vorne werden wir mit Musik nicht in unserem Lieblingsstil beschallt. Tun wir uns das nochmals eine Nacht an? Nein! Das Problem ist aber, wie könnten wir von hier wegkommen? Eingeparkt von allen Seiten, kein Weg auf die Strasse zurück. Wir nehmen zu Fuss einen Augenschein und finden eine Lücke zwischen zwei Womos, die uns gross genug erscheint. Allerdings müssen wir beim fremden Womo die Markise hineintreiben, den Tisch wegtragen und den ausgelegten Teppich zusammenrollen. Dann weisst mich Anita Zentimeter-genau zwischen den Womos hindurch. Es wird sau knapp, aber wir kommen heil auf den Weg. Also wieder Teppich ausrollen, Tisch aufstellen, Markise raus und schnell verduften.
30 Minuten später sind wir auf einem tollen Stellplatz am Wasser, kein Tönchen, keine Musik, kein Grölen, kein Rauch von Grilleuren und kein Generator der brummt. Wie kann das Leben schön sein!