Wir sind auf Beara und erleben einer unserer tollsten Abende
hinter der Theke, denn singen und musizieren kann ich nicht
Es ist Mitternacht, Anita und ich laufen im Stockdunkeln die schmale Bergstrasse hoch über dem Meer zu unserem Wohnmobil. Wir kommen gerade vom Gemeindezentrum von Allhieves, dem äussersten Zipfel der Halbinsel Baera (sprich Bäärra). Die wenigen Touristen, die die alte Seilbahn sehen wollen sind längst weg, auch die, die den gesamten Wild Atlantic Higway abfahren, sind seit Stunden verschwunden. Nur unser Knutschi steht noch vor der Schreinerei mit allerbester Meersicht. Wir kamen heute beim Bruder meiner Lieblingsschwägerin an, der hier verheiratet ist. Am Ende der Welt, wo Sturm und Nebel allgegenwärtig sind. Wo vielleicht alle 300m ein Haus steht und jeder jeden kennt, und auch jeder alle Schafe mit Vornamen ansprechen kann.
Aber heute, als wir ankommen, herrlichster Sonnenschein, blauer Himmel, ruhiges Meer.
Der Tag beginnt für uns aber überhaupt nicht stressig. Wir müssen heute nicht mal 100km fahren, für die letzten 50km sind aber etwas über zwei Stunden Fahrzeit eingeplant. Zuerst folgen wir dem Ring of Kerry bis dieser in Kenmare zu Ende ist. Dort kaufen wir nochmals ein und zweigen dann auf den Ring of Beare ab. Laut Beschreibung nicht für Wohnmobile geeignet, weil er schmal und unübersichtlich ist. Aber wir fahren mit vollem Recht mit unserem Womo da hinein, schliesslich sind wir hier nicht normale Touris, sondern besuchen Verwandte.
Zuerst ist die R571 noch normal schmal, führt dem Meer entlang, dass man irgendwie doch nicht so sieht, dafür führt die Strecke über alte, schöne Brücken und hat fast keinen Verkehr. Dann nach Lauragh geht es den Berg hoch und wieder runter, bei tollster Meersicht. Später zweigen wir auf die R575 ab und fahren noch mehr Richtung Spitz der Halbinsel. Der Weg ist fantastisch, manchmal hoch über dem Meer, dann wieder fast am Wasser, am Horizont die Berge der Kerry-Halbinsel. Ich glaube, es ist eine der schönsten Routen, die wir bisher gefahren sind, auch wenn das Kreuzen mit den wenigen entgegenkommenden Touristen manchmal sehr knapp wird. Die Berglandschaft und das blaue Meer bei tollem Sonnenschein ist einfach aussergewöhnlich. Dann fahren wir durch Allihies, dem letzten Dorf, dort, wo Marc und Carina wohnen. Dachten wir, das heisst, ihre Adresse ist der Ortschaft Allihies zugeschrieben. Nun geht es aber nochmals 10km weiter nach aussen, es kommen auch keine Ortschaften mehr, nur noch verstreut ein paar Häuser. Dann, genau 2km bevor die Strasse endgültig aufhört, sehen wir das Firmenauto von Marc vor der Schreinerei mit dem bewachsenen Dach stehen.
Wir parken unser Knutschi und werden von Marc, der vor zwei Wochen ein richtiger Ire wurde, herzlich empfangen. Seit über 25 Jahren wohnt er hier in Lambs Head, trotzt dem Wetter und der Natur, und zieht mit seiner Frau drei Kinder gross. Er zeigt uns die Schreinerei, wo sein Büro eine Aussicht hat, die jedem Ferienhaus und jedem Hotel doppelte Preise bescheren würde.
die tolle Schreinerei von Marc
Marc muss aber noch einen Auftrag fertig machen und so schnappen Anita und ich unsere Velos und radeln noch schnell zum Ende der Strasse mit einem kleinen Parkplatz und der einzigen Seilbahn Irlands. Diese Seilbahn transportiert Schafe, Kühe und Touristen auf Dursy Island, die allerletzte Insel. Wir wollen dort noch Fotos mit blauem Himmel machen, denn morgen hat er nicht mehr ganz so schön. Dem Fish & Chips- Verkaufswagen können wir nicht wiederstehen (Restaurants oder Pubs gibt es hier nicht mehr) und bestellen doch noch eine Portion (wir teilen). Danach geht es zurück und Marc schliesst seine Schreinerei heute etwas früher. Zu Fuss laufen wir zu seinem Wohnhaus, wo Corina 300m entfernt aufgewachsen ist. Es ist ein freudiges Wiedersehen nach nun doch einigen Jahren.
Wir werden auf der Terrasse zum Barbecue eingeladen und können uns von der tollen Aussicht einfach nicht sattsehen. Julia, die älteste Tochter, übersetzt im breitesten Schweizerdeutsch mit englischem Akzent, wenn wir etwas von Corina, der waschechten Irin, nicht verstehen. Wir fühlen uns hier sofort wohl und sehr willkommen. Die Iren sind einfach gastfreundlich und herzlich, anders wie die eher reservierten Engländer.
Etwas später geht die gesamte Familie ins ehemalige Schulhaus, das vor vielen Jahren wegen Kindermangel geschlossen wurde und nun von der lokalen Bevölkerung in ein kleines Gemeindezentrum umgewandelt wurde. Jeden Dienstagabend treffen sich da ein paar Bewohner, um zusammen zu Musizieren und etwas trinken. Dieser Abend ist jeweils nicht öffentlich und für Touristen nicht zugelassen (oder hat es am Dienstag Abend einfach keine mehr hier?), aber da wir ja jetzt keine Touristen, sondern Verwandte sind, dürfen wir mit. Da ich weder Singen noch ein Instrument bedienen kann, werde ich in das Zapfen von Guinness und Murphy eingeführt und hinter die Theke verbannt.
Und dann geht die selbergemachte Musik los, ohne Mikrofon, ohne Noten. Dafür mit Geige, Banjo, Gitarre, Querflöte und einige andere Instrumente. Es wird gesungen und gelacht, und getrunken.
Es klingt fantastisch, die Lieder sind super, Anita und ich hören gebannt zu und können unser Glück kaum fassen. Wie die Leute hier auf dieser einsamen Halbinsel zusammenhalten, füreinander da sind und mit dem wenigen, dass sie haben, das Maximum herausholen, beeindruckt uns.
Ich glaube, wir Mitteleuropäer sollten auch etwas mehr in uns gehen und endlich mal mit dem zufrieden sein, was wir haben und nicht immer noch mehr wollen. Es war der tollste Abend bisher auf unserer Reise und wird auch nicht mehr zu toppen sein.
Morgen werden wir dann noch andere Dinge von dieser Halbinsel zeigen, denn wir bleiben mindestens bis übermorgen hier.
22.5.2019 - Genial. Slantscha.
Anna-Töna und Mathias
22.5.2019 - Solch einen Abend mit spontaner irischer Musik haben wir vor Jahren in Irland in einem Pub erlebt. Es bleibt unvergessen. Ein einmaliges Erlebnis (bisher). Verfolge euren Blog schon lange und reise in Gedanken mit ;)
IrMa
22.5.2019 - Grüss Euch. Spontane Abende wie diese bleiben meist in Erinnerung. Auch der Abend vor dem ASSR in Regensdorf war ein solcher. Bleibt gesund und geniesst es!!! Güsse aus der regnerischen CH
Thoberman