Zur Kathedrale von Gloucester
Morgens bringe ich mit Marcel Ella in die Schule. Es gibt Privat- und staatliche Schulen. Die Privatschulen sind teuer, aber auch nicht unbedingt besser, sie haben einfach mehr Möglichkeiten. Die staatlichen Schulen hingegen sind kostenlos (ausser Schuluniform, Lehrmittel, Mittagessen, Transport etc.) Was für uns ungewöhnlich ist: man muss sich auch bei den staatlichen Schulen bewerben. Die Eltern schauen sich z. B. fünf verschiedene Schulen an im Hinblick auf Lehrplan, Aufnahmekriterien, Lage, Klassengrösse, Rating der Schulbehörden etc. und entscheiden sich dann, welche Schule sie bevorzugen. Sie müssen einen Antrag stellen mit der gewünschten Reihenfolge von drei Schulen. Jede Schule hat verschiedenste Aufnahmekriterien, die je nachdem verschieden sind: z.B. Wohnort, Religion, Vorbildung (Aufnahmeprüfung) etc. etc. Und so entschiedet die Schule Nr. 1, ob sie das angemeldete Kind aufnimmt. Wenn nein, entschiedet Schule 2 und dann Schule 3.
So gehen die wenigsten Kinder unmittelbar in ihrem Wohnort zur nächstgelegenen Schule und vor allem die jüngeren Jahrgänge werden von ihren Eltern mit dem Auto in ihre Schule gefahren und wieder abgeholt. Der morgendliche Verkehr auf dem Land ist zu 80% von diesen Fahrten verursacht. Die Einschulung ist übrigens mit 5 Jahren.
Nachdem Ella in der Schule ist (ihre ist nur 2 Meilen entfernt), wo sie auch über Mittag bleibt und Marcel arbeitet, beschliessen Anita und ich, mit dem Bus nach Gloucester zu fahren. Wir können die Tickets über eine App kaufen, sie kosten nur 3£ pro Person pro Weg, also CHF 3.25 für eine Stunde Busfahrt! Also laufen wir zum Busstop und kurze Zeit später kommt der (stündliche) englische Doppeldeckerbus. Wir steigen ein, zeigen unsere Handys mit den Tickets drauf und steigen natürlich in den oberen Stock ganz nach vorne. Der Bus fährt ab und wir merken, dass er 10 Minuten zu früh fährt. Wir werden unsicher, sind wir im richtigen Bus? Aber es klärt sich rasch, denn 10 Minuten später sind wir wieder am Ausgangspunkt und der Bus fährt nun nach einer kleinen Dorfrunde tatsächlich in die Stadt.
Die Fahrt ist schon ein Highlight: Wir streifen im oberen Stockwerk Äste, ziehen manchmal den Kopf ein, wenn ein Lastwagen entgegen kommt und schrammen Zentimeter knapp an Hauswänden, Ampeln und Verkehrsschilder vorbei. Es ist eng und schmal, aber der Busfahrer bremst nicht mal ab, wenn ein Lastwagen entgegenkommt. Nervenkitzel pur, wenigstens für uns. Jeder gestresste Schweizer Busfahrer muss wahrscheinlich einmal ein halbes Jahr nach England seinen Beruf ausüben, dann lernt er, stressresistent zu sein.
Wir kommen aber erstaunlicherweise ganz heil in Gloucester auf dem Busbahnhof an. So schlendern wir nachher durch die Fussgängerzone zur Kathedrale. Der heutige Steinbau wurde 1089 begonnen. Die Kathedrale ist sehr imposant und wir staunen Bauklötze. Die Kreuzgänge sind wegen ihren Fächergewölben besonders berühmt. Dieses Konstruktionselement zählt zu den schönsten mittelalterlichen Kreuzgängen weltweit. Dazu gibt es das riesige Great East Fenster hinter dem Hochaltar, etwa 22 m hoch und 12 m breit, das zu seiner Zeit das größte seiner Art war. Das Glasfenster stammt aus dem 14. Jahrhundert und ist heute eines der wichtigsten mittelalterlichen Glasfenster Europas.
In den Kreuzgängen wurden übrigens auch viele Szenen von Harr Potter gedreht. Z.B. dort, wo Harry und Ron vor dem Troll fliehen und verstecken, wo Harry Snape & Malfoy in einem der Korridore belauscht oder Myrte’s Badezimmer überläuft, also das Wasser in den Gang fliesst. Anita kennt natürlich alles und ist sofort in die Zauberwelt hineinversetzt.
Als uns dann doch ein kleines Hüngerchen plagt, verlassen wir die Kathedrale und leisten uns in der Fussgängerzone ein kleines Häppchen. Etwas später sind wir wieder beim dortigen Busbahnhof und fahren wieder eine Stunde im 2. Stock des Buses für 3£ nach Hause. Auch die Heimfahrt ist so spektakulär wie die Hinfahrt und die 3£ gut investiert. Die Busse haben schon einige Kampfsuren, genau gleich wie unser Knutschi. Obwohl dies ja um einiges schmaler, niedriger und kürzer ist.
Zu Hause holen wir dann Ella wieder von der Schule ab und Anita waltet wieder ihres Amtes als Tante.