Muss man gesehen haben
oben auf den Stadtmauern
Nach einer ruhigen Nacht ist das heutige Ziel schnell definiert: wir wollen nach Saint Malo, dem Ort, wo es mindestens europäisch (manche sagen weltweit) die grössten Tideunterschiede bis zu 18m gibt. Das ist genau etwas für uns, also wird zusammengepackt und losgefahren. Schon wieder in eine Umleitung hinein, aber alles mit der Ruhe, es kommt schon gut.
Nach einigen Kilometern Weg sehen wir einen Wegweiser zur Abbaye de Beauport, einem alten Kloster am Meeresufer. Wir stoppen und ziehen uns noch etwas Kultur in unsere Köpfe. Die Abtei sieht von aussen schon sehr gut aus, aber von innen ist sie noch viel grösser wie gedacht. Die 7 Euro Eintritt pro Person lohnen sich auf jeden Fall. Die Abtei zerfiel zwar schon um 1763, aber schon 1836 begannen die ersten Versuche, dieses Kloster für die Nachwelt zu erhalten. Man erfährt sehr viel Interessantes (auch auf Deutsch) und so sind wir dann mehr als eine Stunde später erst wieder in unserem Knutschi auf der Weiterfahrt.
Wir kommen gut in Saint Malo an und parken auf dem grossen, zentralen Parkplatz, der bei der Ausfahrt eine Ver-/Entsorgungsstation hat und man auch über Nacht stehen bleiben darf.
Kurze Zeit später machen wir uns auf den 2km langen Weg Richtung Hafen und Altstadt. Man könnte auch den Bus nehmen - aber wir doch nicht!
Nach ein paar hundert Metern landen wir schon mitten in einem Quartiermark oder Quartierfest (Anita meint, es sei ein Flohmarkt, aber da einigen wir uns heute nicht). Es hat viele Leute, Marktstände, Musik, Festwirtschaften. Wir sehen uns gemütlich um und wenn wir nicht auf dem Hinweg wären, hätten wir eine alte Hand-Kaffeemühle gekauft. Aber mitschleppen den ganzen Tag, da haben wir keine Lust drauf.
Also nehmen wir die restlichen Meter auch noch unter die Füsse, laufen zum Hafen und sehen vor den sehr imposanten Stadtmauern einen alten Dreimaster. „Schau mal, ein Piratenschiff!“, ruft Anita – und genau so fühlt es sich auch an.
Vor uns liegt die L’Étoile du Roy, eine gewaltige Fregatte mit drei Masten und fast 50 Metern Länge. Schon beim ersten Blick aufs geschnitzte Heck, die mächtigen Rahsegel und die 20 Kanonen fühlt man sich ins 18. Jahrhundert zurückversetzt.
Gebaut wurde sie zwar erst 1996, doch ihr Herz schlägt im Takt der Vergangenheit. Sie spielte schon in Filmen wie „Die drei Musketiere“ oder „Napoléon“ mit. Heute ist sie ein Wahrzeichen von Saint-Malo und erinnert an die stolze Korsarenzeit der Stadt.
Wir schreiten ehrfürchtig die Gangway hinauf. Planken aus Holz, Tauwerk, Kanonendecks, alles ist so gestaltet, dass man sich wie ein Seemann von damals fühlt. Im Bauch des Schiffes sieht man Schlafkojen, Offiziersräume und eine Kombüse, die Geschichten von langen Reisen über den Atlantik erzählt. Und endlich stehe ich wahrhaftig im Kapitänsbereich des Schiffes: Wie habe ich da als Junge geträumt davon, als ich die Bücher über James Cook, Magellan oder Kolumbus verschlungen habe!
Und das Beste: L’Étoile du Roy ist nicht nur ein Museum, sondern auch ein lebendiges Schiff. Sie kann mit bis zu 120 Passagieren in See stechen – sei es für Tagesausflüge, Abendfahrten oder festliche Dinner auf dem Meer. Heute steht aber keine Fahrt mehr an, wir geniessen das Schiff aber in vollen Zügen.
Erst danach laufen wir zum riesigen Stadttor in der noch viel grösseren Stadtmauer von Saint Malo. Die Mauer ist gewaltig, hoch wie breit und führt um die gesamte Altstadt herum. Man kann sie in der Höhe über die gesamten 2 km umrunden.
Kaum zu glauben, dass diese Steine einmal einem der verrücktesten Angriffe der Geschichte standgehalten haben: der Explosion der sogenannten „Infernal Machine“ im Jahr 1693. Im 17. Jahrhundert war Saint-Malo eine Korsarenhochburg. Von hier aus stachen Freibeuter in See, kaperten englische Handelsschiffe und brachten Beute in die Stadt. Für England war Saint-Malo ein rotes Tuch. Also versuchte die Royal Navy, die Stadt auf eine unkonventionelle Art zu zerstören.
Das „Höllenschiff“ war ein ehemaliges Kanonenschiff, das die Engländer in eine schwimmende Bombe verwandelten. Es wurde mit rund 400 Fass Schießpulver und zusätzlich mit brennbaren Materialien, Granaten und Eisenstücken beladen – alles, was maximalen Schaden anrichten konnte.
Am 29. November segelte das Schiff, gesteuert von mutigen Freiwilligen, bei Nacht in Richtung Stadtmauern von Saint-Malo. Der Plan: die Explosion sollte die Mauern aufsprengen, die Stadt in Brand setzen und so den Weg für einen Angriff öffnen.
Doch das Schicksal meinte es anders: Das Schiff lief im Watt fest, bevor es die Mauern erreichte. Trotzdem explodierte es mit einer ohrenbetäubenden Detonation. Die Druckwelle zerschlug Fenster und Dächer in der Stadt, liess Mauern erbeben und Teile der Hafenbefestigung stürzen ein. Aber die eigentliche Stadtmauer blieb weitgehend intakt – Saint-Malo überstand die Attacke.
Die „Infernal Machine“ verbreitete mehr Schrecken als tatsächlichen militärischen Erfolg. Zwar wurden einige Gebäude beschädigt und Menschen getötet, aber die Stadt fiel nicht. Stattdessen festigte das Ereignis den Ruf Saint-Malos als „uneinnehmbare Korsarenfestung“. Die Stadt selber fiel in keinem einzigen Krieg, die Stadtmauern überstanden sogar das heftige Bombardement des 2. Weltkrieg, wo aber mehr als 80% der Gebäude der Stadt selber dem Erdboden gleichgemacht wurden.
Wir umrunden hoch oben die Stadt und sind echt begeistert. Irgendwie muss man mal hier gewesen sein. Es ist echt eindrücklich.
Saint Malo von der Insel Bé aus
Cool ist natürlich auch das Leben unten an den Stadtmauern, viele kleine Cafés, Bistros und kleine Läden. Wir schlendern lange durch die Gassen, genehmigen uns einen Apéro, besichtigen die Kathedrale und bei Ebbe die Insel Grand Bé, bevor wir uns zum Abendessen eine Pizza genehmigen. Die haben wir uns heute verdient.
Danach geht es wieder die 2km zurück zu unserem Womo. Auch heute wieder über 10km zu Fuss.
Ach ja, die grösste Tide haben wir verpasst und gar nicht darauf geachtet…
28.9.2025 - Ja endlich, sind Knutschi‘s (unser Inbegriff für gleichgesinntes WOMO-Reisen) wieder in uns bekannten Gegenden unterwegs. Liebe Anita und lieber Rolf, vielen herzlichen Dank für die geschichtlichen Ausführungen eurer Nordfrankreichreise. Bei unseren Besuchen in dieser Gegend befassten wir uns nur wenig damit, weil wir jeweils unsere Kräfte für die „Verarbeitung“ der tollen landschaftlichen Eindrücke brauchten. Im Gegensatz zu Nordskandinavien - das kennt ihr ja auch bestens - sind halt die Sehenswürdigkeiten in der Bretagne/Normandie schon viel näher beieinander und geschichtlich vielseitiger. Weiterhin gute Reise und vielen Dank für die täglichen Berichte. Liebe Grüsse Pirkko&Andreas
Andreas